(Aus "Die Biene Maja und ihre Abenteuer") "Aber die kleine Maja hörte nicht. Sie war wie in einem Rausch von Freude, Sonne und Daseinsglück. Ihr war, als glitte sie pfeilgeschwind durch ein grünleuchtendes Meer von Licht einer immer größeren Herrlichkeit entgegen. Die bunten Blumen schienen sie zu rufen, die stillen beschienenen Fernen lockten sie und der blaue Himmel segnete ihren jauchzenden Jugendflug. So schön wird es nie mehr, wie es heute ist, dachte sie, ich kann nicht umkehren, ich kann an nichts denken als an die Sonne."
Sie sollte ein Longseller werden, die "Biene Maja", die der Schriftsteller Waldemar Bonsels hier in die Welt starten lässt. Die kleine Anarchistin, die ihren Stamm verlässt, verzaubert Tausende. Im Netz einer Spinne verhungert sie fast. Hornissen halten sie in einem Burgverlies zwischen Totengerippen gefangen. Doch nichts kann ihre reine Seele trüben. Im Gegenteil: Am Tiefpunkt ihres erst kurzen Lebens, als sie mit anhören muss, dass die Hornissen ihr Volk überfallen wollen, erwacht plötzlich ihr Patriotismus. Eine Denkfigur, wie sie freilich bereits in den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts europaweit gepflegt wurde.
"Müssen die Meinen unterliegen und sterben, so will ich es auch, dachte sie, aber vorher will ich nichts ungetan lassen, sie zu retten.
'Es lebe meine Königin!' rief sie.
'Ruhe da drinnen!' scholl es barsch von außen."
Die Heimatliebe verleiht ihr die Kraft zur Flucht. Sie warnt ihr Volk und rettet es dadurch. Kein Wunder, dass sich "Die Biene Maja und ihre Abenteuer", die 1912 erschien, im Ersten Weltkrieg zum Kriegsschlager mausert. Soldaten tragen sie im Tornister. Die rührende Fabel entführt sie aus dem Schlamm zerstampfter Gräben in die Harmonie einer gottbeseelten Natur und hat überdies kriegstreiberische Wirkung. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum das harmlos daherkommende Abenteuermärchen im Licht der Forschung Schlagseite erhielt. Der Grund liegt vielmehr in Waldemar Bonsels selbst. Bis in die Vierzigerjahre hinein prominenter Vielschreiber naturmystischer, recht schwülstiger Romane, erregte er nicht nur als Dandy mit vielen Frauengeschichten Aufsehen. Vor allem haftet ihm schon lange der Ruf an, Antisemit zu sein. Ins Detail geht nun die mit Spannung erwartete große Biografie über Waldemar Bonsels. Geschrieben hat sie unter dem vielsagenden Titel "Der Honigsammler" der Germanist und Historiker Bernhard Viel. Er verfestigt das Bild eines in den Ruhm und sich selbst verliebten Dichternarzissten; eines Opportunisten, der geschickt sein Fähnchen nach dem Winde zu hängen weiß und sich nach Laune maskiert. Durchaus abgebrüht:
(Waldemar Bonsels an Hans Brandenburg, 1902) "Menschen, die mich langweilen, mache ich allerlei vor. Neulich hab ich 'auf dringenden Wunsch' ein paar Gedichte deklamiert. Ureigene. Du Kleiner wärst für Wochen krank geworden, wenn Du sie hättest anhören müssen, sie sind noch viel schlechter als die, welche Du kennst. Eins endet: Der Himmel - ostereierfarben - Meine vollen Liebesnarben -- (Seufzer) Die Leute schätze das. Ein junges Mädchen, die für hübsch gilt, hat mir dafür zwei Orangen und ihr Herz geschenkt."
Kindheit in einem pietistisch-protestantischen Elternhaus
1880 oder '81 geboren - Waldemar Bonsels machte sich gerne ein Jahr jünger -, wächst er unter vier Geschwistern in einem pietistisch-protestantischen Elternhaus auf. Die Mutter, die ihn vor der Einweisung in die schon angedrohte Zwangserziehungsanstalt bewahrt, nachdem er einmal einen silbernen Familienlöffel zu Geld machen wollte, nährte ihren Zweitältesten mit unverbrüchlichem Selbstbewusstsein. Der Vater, der als Apotheker, später Zahnarzt arbeitet, verbietet dem Jungen Karl May und liest ihn heimlich selbst. Gegen die Doppelmoral dieser Knochenchristen muss aufbegehrt werden. Zum Beispiel, indem man wie Waldemar die Schule kurz vor dem Abitur abbricht. Dabei hilft ihm der ganz unreligiöse Kontakt zum ruppigen Seemann Pile Trak, den er im Kieler Hafen regelmäßig nach der Schule besuchen geht, um mit ihm direkt neben der Hafenlatrine auf Köder fürs Aale-Angeln zu warten. So jedenfalls beschreibt es Bonsels selbst in "Tage der Kindheit":
"Sank da etwa dünn und flüssig ins Wasser, so empörte sich Pile erbittert in schrecklichen Flüchen, deren plattdeutscher Wortlaut seinen Zweifel am Wert der neuzeitlichen Menschheit deutlich machte. Zeigte sich dagegen in festem Zustand ein geordnetes und knetbares Gebilde, so leuchtete sein Gesicht verschmitzt bis dankbar auf. Pile knetete mit alten dicken Fingern und viel Geschick, Anstand und Genuss kleine Kügelchen aus unserer Beute, formte die weiche Pille mit Sorgfalt um den Angelhaken und ließ das Ganze bedächtig in die Tiefe gleiten."
Seinem eigenen Leben Tiefe zu verleihen, wird fortan das Hauptanliegen Waldemar Bonsels. Und wenn das Leben selbst zu wenig abwirft, dichtet er sich einfach andere Leben, inspiriert zum Beispiel von Joseph von Eichendorffs "Taugenichts": Figur und Stil sind Vorbild seiner frühen "Notizen eines Vagabunden", der die eigene kurze Wanderzeit zwischen Schule und kaufmännischer Lehre literarisch verklärt.
"Der dichte Park war von einer hohen Steinmauer umzogen, die von der Witterung grau und rissig geworden war, aber nur in ihrer Verkleidung, sie stand schwer und unerschüttert in ihren Grundfesten, und die Gartensträucher drängten sich in grünen und blühenden Wolken über ihre Ränder."
1916 Erfolg mit dem Roman "Indienfahrt"
Waldemar Bonsels wird zunächst reisender Kaufmann, der in ganz Deutschland Ansichtskarten vertreibt. Vom religiösen Elternhaus kommt er dennoch nicht los. Der Vater vermittelt ihn zum befreundeten Friedrich Bodelschwingh. Der konservative Theologe aus Westfalen predigt vor preußischen Truppen und baut gerade das große Bethel-Netz mit Betreuungseinrichtungen auf. Hier kann Bonsels zum Missionskaufmann aufstocken, sogar mit Auftragsort Indien, seiner ersten großen Ausfahrt im Jahre 1903, die sechs Monate dauert. Die Eindrücke liefern ihm den Stoff für seinen Roman "Indienfahrt" von 1916, neben der "Biene Maja" sein erfolgreichster Roman. Mit den Missionaren geht er aber später öffentlich hart ins Gericht.
"...unaufhörlich Phrasen über Jesus Christus. Ermahnungen, salbungsvolle und süßlichschwärmerische Gebete und dabei eine Borniertheit ..."
...beschwert er sich schon bei seiner Lieblingsschwester Anni und bastelt sich da bereits in Abgrenzung zum Weltbild der Eltern seinen eigenen Jesus: Gerecht soll er sein. Bei moralischer Empörung aber auch ruhig mal gewaltbereit. Mitleid, der Kerngedanke des Christentums, spielt da nur noch eine geringe Rolle. Eine der großen Vorzüge dieser glänzend geschriebenen Biografie ist, dass sie immer wieder danach fragt, wo denn nun der Keim liegt für das krude Weltbild, mit dem Bonsels 1933 Hitler als Erlöserfigur begrüßen wird. Nietzsches salonfähiges Programm eines "Willen zur Macht" und das mit Wackenroder und Tieck in der Luft liegende Schwärmerische sind gewiss Nährboden für solche Konstruktionen, die Bonsels je nach Regime geschickt zu platzieren weiß. Er pflegte diesen Ton auch im Privaten - etwa im Brief an den Freund Hans Brandenburg:
"Werter Herr. Wenn man hingeht durch ein fremdes Land, im Herzen die Sehnsucht nach einer Heimat des friedereichen Glückes und der freien Schönheit, und immer allein, und geht unter Menschen hin, die kalt und selbstsüchtig ihr Ich zu ihrem Gott gemacht haben, denen für alles Schöne und Ernste Sinn und Liebe fehlt, dann ist es wie heller Sonneschein, der plötzlich auf einen lichtlosen Weg fällt, wenn uns einmal einer die Hand entgegen streckt, in dem aufrichtigen Wunsche uns Gefährte und Kampfgenosse zu sein auf unserer Bahn."
Teil der Münchner Boheme
Mit dem Lyriker Hans Brandenburg wird er nach der Rückkehr aus Indien in München den W.E. Bonsels Verlag gründen, der gut läuft. Kritiker werden auf den jungen Dichterverleger aufmerksam, der sich gern in Szene setzt.
"Bonsels und Brandenburg fahren derweil in offener Droschke auf der Leopoldstraße spazieren und genießen es, die zu provozieren, denen sie konservativ, gelackt, in Naturparfüm getaucht erscheinen."
Bernhard Viel beleuchtet nie nur den Autor selbst, sondern begreift ihn auch aus der Epoche heraus. Seine Biografie ist dank aufwendiger Recherchen und zahlreicher Hintergrundgespräche zugleich ein Panorama der Zeit und malt in den schillerndsten Farben die letzten Jahre des Kaiserreichs und schließlich die Münchner Boheme mit ihrer bunten Literaturszene. Da ist der Kreis um den Dichter Stefan George, dem sich Bonsels lieber fernhält, vielleicht, weil er selbst zu gerne führt. Da sind von heute aus betrachtet die kanonisch wichtigen Autoren, Heinrich Mann zum Beispiel oder Frank Wedekind, seine Förderer. An ihnen arbeitet er sich bewundernd ab und erreicht sogar mehr Leser. Aber Viel lässt keinen Zweifel daran, dass etwa Bonsels schwärmerischer Mädchenroman mit dem Titel "Mare" zu Recht vergessen ist:
"Nun kam in ihre Mädcheneinsamkeit ein heißes Neues. Früh, grausam und von unbarmherziger Macht. Ihr sehnsüchtiges Blut lernte eine leise, schwüle Sprache. Wirbelndes Leuchten, süß, bunt und berauschend, stieg auf und pries in ihrem zuckenden Schoß die erste Seligkeit am Leben."
Reportagen für das Kriegspresseamt
Eros als vitale Kraft, die bürgerliche Moral überwindet, um sich mit der göttlichen Natur zu vereinigen - der Bonselsche Mystizismus hat eine neue Stufe erreicht. Warum dieser triefende Jugendstil-Roman trotzdem nicht, wie Frank Wedekinds "Frühlingserwachen" oder Arthur Schnitzlers "Reigen", als Skandalroman taugte, erklärt Viel mit seiner strikten Trennung von Triebwelt und Bürgertum. Das Mädchen Mare lebt noch am Rand. Zum deutschen Bürger wird erst "Biene Maja", die nach Verlagsabgabe und Ortswechsel im Blumengarten der neuen Schleißheimer Villa entsteht; für die Söhne aus erster Ehe, die der Vater beim nächsten Umzug nach Ambach bei Starnberg abstoßen wird - er wolle jetzt lieber ohne Familie leben. Seine vielen Beziehungen, darunter zur Tänzerin Edith von Schrenck, der Lyrikerin Paula Ludwig oder Wedekind-Tochter Pamela, sparen wir hier mal aus. Und muss erwähnt werden, dass der offenbar anziehende Frauenflüsterer das "Weib" als Gefühlige, Empfangende sah, den Manne aber als verstandesgelenkten Kulturschöpfer? Wohlan - der Erste Weltkrieg beginnt. Bonsels schreibt gleich mal ein Gedicht und publiziert es in Reminiszenz an die Romantik in einem Jenaer Verlag.
"In dem gewaltigsten Krieg der Welt, der nie seinesgleichen / Unter der Sonne gesehen, braust durch die deutschen Eichen / Wie in Orkanen der heldenmutige Ruf: / Deutschland, Deutschland gegen alles!"
Die Realität sieht anders aus. Bonsels soll aus Estland und Galizien fürs Kriegspresseamt siegestrunkene Reportagen schicken. Er klagt über die vorgeschriebene Form, macht aber später gleich mal einen Band daraus mit dem Titel "Die Heimat des Todes. Empfindsame Kriegsberichte":
"Schon jetzt, nach wenigen Monaten, haben die Männer, die von den Todesfeldern der Schlachten zu uns zurückkehren, eine neue Seele bekommen. Die glühenden Sturzbäche dieser Lebensleidenschaften verwandeln ihre Gemüter, reinigen sie von allem kleinen und kleinlichen und machen aus stumpfen Bürgern kindliche Helden."
Organischer Kreislauf aus Opfertod und neuem Leben
Mit der literarischen Unschuld ist es für den Biene-Maja-Autor nun endgültig vorbei, konstatiert sein Biograf, der immer wieder Versuche unternimmt, mit leicht sarkastischem Zungenschlag die unglaublichen Dreh- und Wendebewegungen Waldemar Bonsels in die allgemeine Gemengelage einzuspeisen. Oswald Spengler etwa propagiert in seinem 1918 erschienenen geschichtsphilosophischen Werk den - in Jahrtausenden gerechnet - notwendigen "Untergang des Abendlandes". Alle versuchen sich an der Sinngebung des Sinnlosen, wie Ernst Jünger, der mit "Stahlgewitter" die Splitter der Gewalt abbildet. Der Unterschied zu Bonsels aber ist gravierend:
"Bei ihm muss die Welt nicht in Worten und Metaphern neu zusammengefügt, ihr verborgener, metaphysischer Sinn rekonstruiert werden. Er nimmt sie nicht erst als zersplittert wahr. Sie ist nach wie vor so heil, wie sie angeblich immer war."
Da braucht es nicht mehr viel Erfindungsgeist, um das Modell eines organischen Kreislaufs aus Opfertod und neuem Leben mit den braunen Ideologien kurzzuschließen. Zwischen den Kriegen macht es sich der "kuschelweiche Erfolgsschriftsteller" trotz Inflation und derlei erst einmal bequem - in seiner Starnberger Villa und in Italien. Und auch mal in München, wo gerade alles rätemäßig durcheinander geht. Um ihn herum andere Geistesgrößen, wie Ludwig Thoma, der im Verlagshaus wohnte, oder der Kriegsgegner Lion Feuchtwanger. Zwischen Tanz und Theater arbeitet Bonsels an einer Vortragsreihe zum Thema "Christus und Buddha" und entwirft die seinen Büchern eingeschriebene "Liebesordnung". Und als Berlin München als Kulturmetropole ablöst, mietet er sich dort in einer luxuriösen Charlottenburger Wohnung ein, um Journalisten mit Cognac zu empfangen und über das Rezept für gute Bücher nachzudenken:
"Warten Sie einen Augenblick, vielleicht kenne ich es! Der liebe Dichter soll zunächst aus gar keinen anderen Gründen zu schreiben versuchen, als weil es ihm Vergnügen macht. Daran, ob ich auch meinem Publikum mit meinen Büchern Vergnügen machen werde, habe ich wahrhaftig nie gedacht."
Hintertüren offen gelassen
Bonsels versorgt seine Leser jetzt erst Recht mit der Illusion einer wunderbaren Natur und weilt 1933 gerade auf Capri, als Hitler Reichskanzler wird. Spontan druckt er in Zeitungen seine sogenannten "Begründungen", die später für seinen umstrittensten Roman "Dositos. Ein mythischer Bericht aus der Zeitenwende" als Geleitwort eingesetzt werden: Eine wortreiche Ausführung, die erklärt, warum die im Grunde überlegenen Juden eine Gefahr sind für die sogenannte "junge deutsche Nationalseele" und Hitlers Vorgehen eigentlich nur Notwehr. Bernhard Viel aber kennt die Trümpfe seines Taschenspielers inzwischen sehr genau:
"Behauptet er etwa, er hänge im Herzen dem Führer an? Nein, er behauptet: 'Adolf Hitler wird von Deutschland geliebt.' Schon jetzt, man weiß ja nie, öffnet er sich heimlich eine Hintertüre. Konnte man etwas anderes erwarten? Schon lange zuvor, schon in den Kriegsidyllen, hat Bonsels marktgängige weltanschauliche Fertigbauteile des modernen kulturbewussten Nationalismus wie Opfer, Wille, Tat, Schicksal montiert."
Wes Geistes Kind der Jesus-Roman "Dositos" ist, an welchem Bonsels seit 1936 arbeitet, weist Bernhard Viel in seiner genauen Analyse vor allem an der Figur des Barabbas nach, der im Erscheinungsjahr 1942 unschwer als SS-Mann zu erkennen war. Ein Ausruf von ihm bildet sogar das Motto des Romans:
"Wenn ich töte, bin ich so menschlich, als wenn ich liebe! Sonst würde kein Krieger zum Helden und kein Gott zum Erlöser werden."
Mitglied der Reichsschriftumskammer
Auch, weil gerade Papiermangel herrscht, geht "Dositos" samt Geleitwort an nur 100 Empfänger persönlich, darunter Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Von Propagandaminister Joseph Goebbels kamen schon zum Sechzigsten persönliche Geburtstagsgrüße. Bonsels ist außerdem Mitglied der Reichsschriftumskammer, von deren Präsidenten Hanns Johst protegiert gegen das ihm weniger gut gesonnene Konkurrenzamt Alfred Rosenberg. In die NSDAP trat er nie ein. Und rassenbiologisch immerhin argumentierte er nie. Nur religions- und kulturgeschichtlich. Nach Kriegsende wird er sich damit schmücken und daran erinnern, dass einige seiner Bücher zu Kriegsbeginn kurz auf dem Index standen (eher eine Streichempfehlung für Buchhändler), dass er außerdem noch in Schulzeiten eine jüdische Familie sehr schätzte und davon sogar in "Tage der Kindheit" erzählte. War es da nicht sogar mutig von ihm, genau dieses Buch 1942, als die Wannsee-Konferenz auf Hochtouren lief, ein zweites Mal zu publizieren? Sogar die Assoziativ-Vokabel "Emigrant" baut Bonsels ein: 1934 sei er schließlich zwecks Lesereise, Wüstenrecherche und erfolgloser Filmproduzenten-Suche in Amerika gewesen; eines der vielen Kapitel übrigens, die Bernhard Viel romanhaft einleitet, was immer wieder Atmosphäre schafft:
"Fünf Uhr morgens. Die Freiheitsstatue bleibt im Dunkeln, aber das Leuchtfeuer ihrer Fackel strahlt wie ein Stern der Hoffnung in der Nacht. Es ist Ende November 1934, als sich die 'Conte di Savoia' langsam in die Upper Bay des Hudson River schiebt. Der deutsche Dichter Waldemar Bonsels rekelt sich im Bett seiner Luxuskabine, tastet schlaftrunken nach dem Lichtschalter. Klagend hallt dreimal das Schiffshorn über das weite Hafenbecken."
Auf die Biene Maja muss man nicht verzichten
Bonsels windet im Nachhinein so geschickt seinen Widerständler-Kranz, dass die Amerikaner ihn sogar auffordern, die Demokratiefähigkeit der Deutschen zu beurteilen und sich zum Entnazifizierungsgesetz von 1946 zu äußern. Und dann fällt 1947 einem Major von der Information Control Division in München dummerweise doch noch die "Dositos"-Ausgabe mit dem unsäglichen Geleitwort in die Hände. Bonsels reagiert mit einer Stellungnahme. Titel: "Meine Einstellung zum Judentum". Ein paar Monate hat er Publikationsverbot. 1949 darf der Roman aber wieder erscheinen - ohne Vorwort, versteht sich. Der Stern des Biene-Maja-Vaters, der 1952 an der Krankheit Morbus Hodgkin stirbt, befindet sich bereits im Sinkflug - bis auf die Weltbestseller-Biene selbst.
"In gewisser Weise versuchte er sein Leben lang, dem Weg seiner autobiografischen Honigsammlerin zu folgen und immer wieder den Ausbruch seiner "kleinen Biene Maja" zu wiederholen, die ihm den ersehnten Ruhm einbrachte, die ihn vor dem Vergessen bewahrte - und unter der er doch auch ein wenig litt, da sie am Ende, bei allem Erfolg seiner Indienfahrt und der Tage der Kindheit, sein übriges Werk überstrahlte."
Bernhard Viel verhält sich zum Dichter Waldemar Bonsels in professioneller Distanz und ist sich jederzeit darüber im Klaren, eine stilisierte Kunstfigur vor sich zu haben, die eigene Strategien verfolgt. Das macht Viels Betrachtungen nicht einfach. Um so mehr weiß man seine Darstellung zu schätzen. Er schreibt anschaulich, entwirft ein Panorama der Zeit und belegt seine Thesen mit eingehenden Textanalysen ausgewählter Werke. So kristallisiert sich schließlich der naturmystisch begründete Kreislauf von Liebe und Tod als gefährliche Denkfigur heraus, die viele Werke Bonsels grundiert und sich, anders gelagert, auch bei manch anderem konservativ-nationalen Intellektuellen finden ließe. Auf die Biene Maja muss man deshalb noch längst nicht verzichten. Aber mitbekommen, was alles in ihr steckt; nicht zuletzt eben auch einfach nur ein klassischer Heldenroman, was ihren bis heute anhaltenden Erfolgsflug erklärt.
Bernhard Viel: "Der Honigsammler. Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja." Matthes & Seitz, Berlin 2015. 400 Seiten, 24,90 Euro